Die Institution des Predigerseminars und seine Inhalte
Gemäß den „Grundsätzen
für
die Ausbildung und Fortbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer der
Gliedkirchen
der Evangelischen Kirche Deutschlands“ ist das primäre Ziel bei
der
Ausbildung zwischen Theologiestudium und praktischer Betätigung
die
„Förderung pastoraler Kompetenz“.
Im Predigerseminar soll Gelegenheit zum Erwerb
des methodischen Grundmusters „der Planung, Durchführung und
Kontrolle“
für die Bereiche pastoraler Praxis gegeben werden. Zudem soll es
den
Rahmen bieten „zur Einführung, sachlichen Begründung und
Reflexion
dieses methodischen Grundmusters und ihrer gegenstandsspezifischen
Variation,
sowie zur Rekapitulation, Erweiterung und Vertiefung der durch diese
methodische
Arbeit verlangten theologischen Kenntnisse und Einsichten“.
Hierbei werden Methoden und Regeln für das
hermeneutische (Auslegung und Erklärung der Bibel), kommunikative
und organisatorische Verhalten vermittelt, die verschiedenen
Dimensionen
pastoraler Kompetenz vereinend.
Zu den Inhalten der drei Hauptbereiche der
Ausbildung
zählen unter anderem:
Im theologisch-hermeneutischen Teil die
Vorbereitung
und Auswertung von Gottesdiensten und Andachten, freie
Bibelgespräche,
die Behandlung verschiedener Themen wie Gemeindeaufbau, Seelsorge,
Ökumene,
Mission, Kasualien (geistliche Amtshandlungen und ihre Vergütung),
Homiletik (Geschichte und Theorie der Predigt), theologische
Grundfragen,
allgemeine Fragen des öffentlichen Lebens und die Einführung
in ein „geistliches Leben“.
Der missionarisch-kommunikative Teil beinhaltet
die Vermittlung liturgischen Singens, rhetorische und homiletische
Übungen,
Sprecherziehung, praktische Seelsorgeausbildung, die pädagogische
Gestaltung von Jugendarbeit, Konfirmandenunterricht oder
Erwachsenenbildung,
Krankenbesuche und Sterbebegleitung, aber auch die eigene
Freizeitgestaltung
in der Gemeinschaft des Seminars.
Im kybernetisch-organisatorischen Teil geht es
um die Ausführung und Organisation in Gottesdienst und Gemeinde,
um
die Gestaltung gemeinsamen und individuellen Lebens und Arbeitens oder
um Belange in den Bereichen Verwaltung, Management und Kirchenrecht.
In der Regel 20 Personen kommen nach ihrem etwa
fünf Jahre währenden Theologiestudium und einem
einjährigen
Vikariat im Predigerseminar zusammen, um sich wie in Wittenberg
in
einem halben Jahr und in drei zusätzlichen Aufbaukursen zu
späterem
Austausch und weiterer Begleitung auf die kommende praktische
Tätigkeit
vorzubereiten.
Galt der Besuch des Predigerseminars bis 1928
noch als Ehre - besonders am Domkandidatenstift und dem
Werdegang
vieler seiner Schüler abzulesen – ist die Teilnahme heute
verpflichtend.
Während für Westdeutschland
beispielsweise
das Theologische Seminar Friedberg/Hessen, das Pfarrseminar Bad
Kreuznach/Rheinland
oder Villichs/Westfalen und mit Kloster Loccum das älteste
Predigerseminar
der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover stehen, sind im Bereich der EKU-Ost
(Evangelische Kirche der Union, hervorgegangen aus der „Ev.
Landeskirche
der älteren Provinzen Preußens“, hierzu zählen heute
insgesamt
Anhalt, Berlin-Brandenburg, schlesische Oberlausitz, Pommern, die
Kirchenprovinz
Sachsen, außerdem Rheinland und Westfalen) derzeit die
Predigerseminare
in Brandenburg und Wittenberg zuständig.
Das ehemals Königliche Predigerseminar in
Wittenberg wird bereits 1817 gegründet und weist eine weitere
Querbeziehung
zum Schaffen Stülers auf: Anläßlich des
25-jährigen
Bestehens wird 1842 die Instandsetzung des angrenzenden Lutherhauses
angeregt,
wofür Stüler 1844 als verantwortlicher Oberhofbaurat
Pläne
erstellt. Originale Bauteile des Gebäudes aus dem 16. Jahrhundert
verwendend, wird der Umbau zum Reformationsgeschichtlichen Museum nach
seinem Tod bis 1873 im gotisierenden Stil vollendet.
Das jetzige Predigerseminar befindet sich daneben
im Augusteum, einem Universitätsgebäude von 1502. Dank
ausreichender
Investitionen erfüllt der Bau seine jetzige Aufgabe, wenn zur
Förderung
des Gemeinschaftsgedankens auch bis heute auf individuelle
sanitäre
Einrichtungen verzichtet wird.
Als sakraler Ort dient neben einem ehemaligen
Tresorraum im Sommer auch die unweit gelegene Schloßkirche.
Drei weitere Seminare im Bereich EKU-Ost sind
nach 1990 geschlossen worden und die derzeit sinkende Zahl von
Theologiestudenten
wird in absehbarer Zeit aus Sicht des Seminardirektors in Wittenberg zu
einem Pfarrermangel führen. Der Bedarf an Ausbildungsplätzen
ist damit längerfristig wohl nicht in Frage gestellt.
Hinzu kommen bereits vor acht Jahren aufgekommene
Überlegungen seitens der Kirche zur Neugründung des
Predigerseminars
in Berlin.
Predigerseminar (vorne) und Lutherhaus Wittenberg
Seminarraum im Predigerseminar Wittenberg
Refektorium
Domkandidaten-Jahrgang 1910 mit Ephorus D. von Dryander