12. Diplomarbeit "Predigerseminar in Berlin-Mitte -
      Das Domkandidatenstift von F.A. Stüler"
 
 

Vorbilder beim Bau des Domkandidatenstifts

Nachdem Friedrich Wilhelm IV. dem Stift die „Superficies“ über das Grundstück übertragen hat, welches selbst im Eigentum des „Kron-Fidei-Komisses“ verbleibt (und in der Erbfolge heute in Landesbesitz ist), kann 1858 mit dem Bau begonnen werden. Grundlage sind die Planungen Stülers, im Landesarchiv dokumentiert.
Das Bauensemble besteht aus dem eigentlichen Seminargebäude, H-förmig unterteilt in zwei Riegel entlang der Oranienburger Straße und südlich davon, verbunden durch einen mittleren Teil mit Bet- und Speisesaal zwischen einem knapp 20m messenden quadratischen Atrium sowie einem Hof mit späterem Zugang von der Monbijoustraße. Als vierte Atriumwand nach Osten abschließend plant Stüler eine ebenfalls quadratische Kapelle, die bei einer Grundfläche von 380qm mit drei Emporen etwa 725 Personen aufnehmen kann. Hierzu wird es wohl eher selten gekommen sein. Die hohen Baukosten dieses großen Kirchenraums – in „Berlin und seine Bauten“ 1877 mit exakt 142.278 Mark angegeben – führen so auch dazu, daß zunächst nur die Fundamente gelegt werden können (auf denen die Kandidaten in ihren Pausen spazieren gehen) und sich die Ausführung des Baus erst nach dem Tod von Stiftsgründer und erstem Ephorus bis 1874 unter Leitung von Stüve realisieren läßt. Auch erst zu diesem Zeitpunkt wird als drittes Element des Entwurfs der 35m hohe Glockenturm fertiggestellt.
In seiner Gesamtkonzeption und bei Ausformung von Basilika und Campanile geht Stüler auf die Vorstellungen Friedrich Wilhelms IV. ein, der durch Beschäftigung mit der Architektur Italiens, geprägt von seiner ersten Italienreise 1828 und angeregt vom 1822-28 von Cotta in München herausgegebenen Stichwerk „Denkmale der christlichen Religion, aufgenommen von den Architecten J.G. Gutensohn und J.M. Knapp“, Formen der Antike und Rennaissance im „Preußischen Arkadien“ umzusetzen sucht.
Auch in der Rückbesinnung auf frühchristliche Motive, die „Urkirche“ und ihre Liturgie sieht der König einen Ausweg aus (kirchen-)politischen Problemen.
Wie der Campanile von Santa Maria in Cosmedin für die Friedenskirche als direktes Vorbild fungiert, finden sich auch andere Beispiele nach dieser Art. Stüler übernimmt bei der Ausführung der Friedenskirche nach dem Tod von Ludwig Persius die Oberbauleitung.
Auch durch seine gemeinsame Reise mit Friedrich Wilhelm IV. nach Italien im Winter 1858/59 (ebenso wie mit Eduard Knoblauch bereits 1829/30) ist Stüler selbst geprägt von den Bauten des italienischen Mittelalters und Quattrocento.
Ideen für gußeiserne Säulen (in der Kapelle des Domkandidatenstifts eingesetzt) oder die im Neuen Museum angewandten Techniken dürften dabei eher auf seine vom König initiierte Studienreise 1842 nach England zurückgehen.
Die klassische Form der altchristlichen Basilika mit erhöhtem Mittelschiff und niedrigeren Seitenschiffen, der halbrunden Apsis im Osten und einem am Narthex im Westen vorgelagerten Atrium ist damit beim Domkandidatenstift im wesentlichen umgesetzt.
Vorbilder mehr oder weniger frei variierend, findet sich die Form des abgesetzten Glockenturms bei Stüler auch an anderen Kirchenbauten in Berlin, so z.B. bei der Jacobikirche in der Oranienstraße, 1844-45 erbaut. Mit Pfarr- und Schulhaus am Atrium entlang der Straße gelegen, gibt der Ziegelbau auch einen vagen Eindruck vom Erscheinungsbild des Domkandidatenstifts. Nur äußerlich wiederhergestellt, vermittelt der in den Fünfziger Jahren durch Paul und Jürgen Emmerich neugestaltete Innenraum nicht mehr den „frühchristlichen Geist“, der der Gestaltung nach Vorbild von S. Quattro Coronati in Rom ursprünglich zugrunde lag.
Vergleichbar, da nach dem Krieg von den gleichen Architekten umgestaltet, ist die St. Matthäi-Kirche am Kulturforum, die Stüler im gleichen Jahr wie die Jacobikirche in Angriff nimmt. Direkt durch einen Kirchenbauverein der Nachbarschaft beauftragt, löst sich Stüler hier etwas von puristischen Vorbildern, orientiert sich in der Dachform eher an Danziger Kirchen und gliedert den Turm, auch aufgrund begrenzten Raums, in das Mittelschiff ein.
Weitere Kirchenbauten Stülers sind, neben der zerstörten und für den Bau der Stalinallee abgetragenen Markuskirche, die 1854-58 am Königstor in Nähe des Friedrichshains erhöht errichtete Bartholomäuskirche (äußerlich mit nicht mehr dreigeteiltem Dach erhalten), die Kirche St. Peter und Paul in Nikolskoe (bereits 1834-37 mit Albert Dietrich Schadow) oder zahlreiche Dorfkirchen wie die am Stölpchensee (1858-59) .
Gerade die neogotisch geprägte Kirche St. Bartholomäus zeigt, daß Stüler auch als Architekt des Übergangs bezeichnet werden kann, zwischen Schinkels Klassizismus und wilhelminischem Historismus.
Bei seinen 1844-56 entstandenen Erweiterungsbauten für die St. Johannis-Kirche in Moabit (Portikus, Pfarr- und Schulhaus mit Arkadenverbindung und freistehendem Glockenturm) als Ergänzung einer der Vorstadtkirchen Schinkels, zeigt Stüler erneut das vom König favorisierte Prinzip und erweist sich als „würdiger Nachfolger“ seines Lehrers, wobei er das bis heute übliche Etikett des Schülers selbst von sich wies.
Nicht verwirklicht hingegen werden die Pläne Stülers für den Neubau des Berliner Doms, neben dem Weiterbau des Kölner Doms auch eine der „Herzensangelegenheiten“ Friedrich Wilhelms IV. Nach ersten klassischen Basilikaentwürfen 1842 steht am Ende ein Kuppelentwurf, dessen Finanzierung und Ausführung, so der Apsisfundamentierung in der Spree, bereits begonnen ist, bevor Wilhelm I. die Planungen seines nun umnachteten Bruders nach ersten Stockungen infolge der Revolution 1848 zehn Jahre später einstellen läßt.
Über die Zusammenarbeit mit dem König sagt Stüler 1861 in einer Rede auf dem Schinkelfest: „Bei ... den meisten Bauten begnügte sich der König nicht damit, dem Künstler nur Aufgaben zu stellen und die Bearbeitung seinem Talent zu überlassen, es drängte ihn zur lebendigsten Teilnahme an der Bearbeitung, wenn nicht zur Leitung derselben. So liebte er, die Grundidee der auszuführenden Bauwerke, mehr oder minder ausgearbeitet, in kleinem Maßstab selbst zu skizzieren und die weitere Ausarbeitung dem Architekten
zu übertragen.“
Als weitere Berliner Bauten nichtsakralen Charakters in Stülers Werk seien noch folgende erwähnt:
Die üblicherweise als „Stülerbauten“ bezeichneten Gardekasernen des Regiments „Garde du Corps“ gegenüber Schloß Charlottenburg, im Rahmen seiner Gesamtplanungen für die Museumsinsel das Neue Museum (auch ein „Stülerbau“) und die nach seinem Tod von Johann Heinrich Strack ausgeführte Alte Nationalgalerie - in den Worten Friedrich Wilhelms IV. eine „ästhetische Kirche“.
Als Architekt des Königs entwirft Stüler auch die Kuppel des Stadtschlosses. Der Zweck des von ihr bekrönten Raums ist dabei selbstverständlich religiöser Art.


Friedenskirche in Potsdam


Innenraum


Atrium mit Christusstatue von J.Winkelmann
(Original von B.Thorvaldsen in Kopenhagener Frauenkirche)


St. Jacobi Oranienstraße


St. Jacobi, umgestalteter Innenraum (Emmerich)


St. Jacobi, Atrium


St. Jacobi, Atrium


St. Matthäi


St. Matthäi, umgestalteter Innenraum (Emmerich)


St. Bartholomäus am Königstor


St. Peter und Paul Nikolskoe


Kirche am Stölpchensee


St. Johannis Moabit


St. Johannis, Portikus und Arkaden


Dom, Kuppelentwurf von 1849


Gebäude der Gardekaserne Charlottenburg


Alte Nationalgalerie


Neues Museum


Neues Museum

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