12. Diplomarbeit "Predigerseminar in Berlin-Mitte -
      Das Domkandidatenstift von F.A. Stüler"
 
 

Gründung des Domkandidatenstifts

Getragen von der industriellen Entwicklung und befördert durch das Entstehen des schienengebundenen Massenverkehrs durch Regional- und später Stadtbahn, kommt es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem dynamischen Wachstum der bis dato eher mittelgroßen Stadt Berlin, deren Bevölkerung bis 1840 auf knapp 330.000 Einwohner anwächst und damit zur viertgrößten Stadt weltweit wird.
Während die Bevölkerungsexplosion damit unaufhaltsam zu sein scheint – verbunden mit zunehmender Industrialisierung, Landflucht und Verstädterung, dem Entstehen der Mietskasernen und entwicklungbegleitender Vorgaben wie dem Bebauungsplan durch James Hobrecht von 1862 – kann die Kirche der werdenden Metropole nicht mit dem Wachstum Schritt halten.
Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861), seit 1840 preußischer König und oft mit den Attributen „Romantiker auf dem Thron“ und „dilettierender Architekt“ verbunden (er selbst gibt sich die Bezeichnung „Butt“), ist stark religiös geprägt und von dieser aufkommenden Tendenz schwer beunruhigt. D. Bruno Doehring schreibt hierzu im geschichtlichen Rückblick zur Hundertjahrfeier des Stifts 1954:
„Von dem unüberbietbaren Wert des Christusglaubens für die innere Gesundheit des Volkslebens von Herzen überzeugt, verbrachte er schlaflose Nächte über der Suche nach einer Möglichkeit, seiner Nation diesen Kraftquell aufs neue zu erschließen.“
Und 50 Jahre vorher heißt es in einer Festschrift dazu: „Länger schon hatte der Gedanke in der Seele Friedrich Wilhelms IV. gelebt, etwas für die Vertiefung der jungen Geistlichen, für die Arbeit an den verwahrlosten Gemeinden, für die Lebendigmachung und Verinnerlichung der Kirche in Berlin zu tun.“
Zitiert wird der König (1851 aus dem Turmgemach des Berliner Schlosses durchs Fenster deutend) mit den Worten: „Sehen sie diese große sündenvolle Stadt; in ihr gab es vor kurzem noch eine Parochie von 80.000 Seelen und noch gibt es deren von 50.000.“
Unterstützung bei der Durchsetzung seiner Ziele erfährt der König hauptsächlich durch den Tübinger Stiftsprofessor und Ephorus Generalsuperintendent D. Wilhelm Hoffmann, den er bei seinen Planungen für den von Stüler realisierten Wiederaufbau der Burg Hohenzollern in Hechingen kennenlernt und daraufhin als Hof- und Domprediger  in Berlin verpflichtet.
(Die Bezeichnung Ephorus ist laut Duden der offizielle Titel für den Leiter eines evangelischen Predigerseminars und leitet sich ab von Ephor, dem höchsten Beamten im antiken Sparta.)
Grundlage der Planungen für ein erneuertes Predigerseminar ist das 1714 durch den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. eingerichtete Dom-Alumnat. Es bietet Platz für lediglich vier bis sechs reformierte und später auch unierte Kandidaten, mit einem Stipendium von 500 Talern ausgestattet und bei „ehrbaren Leuten“ der Domgemeinde“ untergebracht. Ein gemeinsames Leben neben dem Lernen, die „vita communis“, fehlt so ganz.
Inhaltliche Verbesserungen und veränderte Rahmenbedingungen mahnte auch Friedrich Wilhelm III. in einer Kabinettsordre 1816 an:
„Es muß auf die Kandidaten der Theologie, wenn sie die Universität verlassen, mehr Aufmerksamkeit verwandt werden. Ich will, daß zu diesem wichtigen Zweck geistliche Seminarien errichtet werden, in welchen die Kandidaten, nachdem sie die Universität verlassen haben, unter Leitung würdiger Geistlicher zu vorzüglichen Seelsorgern ausgebildet werden sollen.“
Friedrich Wilhelm IV. und Hoffmann sehen im Predigerseminar keine bloße Fortsetzung des Universitätsstudiums im akademischen Sinne und auch keine ausschließliche Hinwendung zu technischen Fragen des Kirchendienstes, sondern versuchen vielmehr „durch Vertiefung in die Heilige Schrift und die daraus sich ergebenden dogmatischen und praktisch-theologischen Fragen eine freimütige Aussprache darüber herbeizuführen, was die Kandidaten bewegte. Und das mit dem Endziel einer eigenen theologischen
Überzeugungsbildung unter steter Berücksichtigung des die werdenden Geistlichen erwartenden Amtes.“ (D.B. Doehring)
Der bauliche Rahmen hierfür soll zunächst in einem Provisorium bestehen. Am 7.April 1854 wird in aller Stille und ohne öffentliche Bekanntmachung die Eröffnung des neugegründeten Stifts begangen, in angemieteten Räumen eines Hauses des Provinzial-Schulkollegiums in der Friedrichstraße 208. Heute befindet sich an dieser Stelle unweit des ehemaligen Checkpoint Charlie ein Gebäude von Rem Koolhaas/OMA.
Da sich das Gebäude für die Aufgaben als ungünstig gelegen erweist und die Räume feucht sind, wendet sich Hoffmann bald schon mit der Bitte um einen Neubau an anderer Stelle an den König. Dieser stimmt zu und stellt hierfür eine Parzelle des Monbijou-Parks zur Verfügung.


Titelblatt der Festschrift zum 50. Stiftsjubiläum, 1904


Friedrich Wilhelm IV. im Turmzimmer des
Stadtschlosses, Ölbild von Franz Krüger 1846


Friedrichstraße 208 heute


D. Wilhelm Hoffmann (1806–1873)

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